Interview mit Ignacio Vachausky von El Arranque

El Arranque ist durch die vielen Gastspiele in Stuttgart wohlbekannt. Das Septett mit Ihrem Saenger Ariel Adit ist in Buenos Aires zu einem der sehr beachteten Orchestern herangewachsen. Ihre zwei herausgebrachten CD sind bei Musikhoehrer und Taenzer angesehen. Im Rahmen eines Besuch in Stuttgart fuehrte ich ein Interview mit Ignacio:

FRAGE 1 : Meinen Glückwunsch zur Gründung des Tangoschulorchesters in
Buenos Aires. Wann kam Dir die Idee dazu?
I.V.: Das Orquesta Escuela ist ein Projekt, das schon vor 3 Jahren entstand. Ich habe es mit einem ganz konkreten Ziel erdacht: die direkte Weitergabe durch die großen alten Tangomeister an junge Musiker, die sich für diese Musikrichtung interessieren, wieder zu beleben. Jede Art von populärer Musik besitzt ihre Geheimnisse, ihre verschiedenen Stile und ihre ganz be-stimmte Ästhetik. Der Tango ist eine der komplexesten Musikrichtungen, die es gibt, und deswegen ist es so schwierig, dieses ganz besondere Gefühl den er hat, wiederzugeben. Aus diesem Grund fragte ich die besten und bedeutendsten noch lebenden Maestros, wie Leo-poldo Federico, Emilio Balcarce, Horacio Salgán, Julián Plaza, Ernesto Franco, Julio Pane, Alcides Rossi, José Colángelo und viele andere, die von Anfang an große Begeisterung zeigten.

FRAGE 2 : Wie konntest Du die alten Hasen wie Emilio Balcarce und Leopoldo Frederico zur Mitarbeit begeistern?
IV.: Ich kannte sie bereits vorher, da mich der Kontakt mit den großen Musikern, die alles für den Tango erfunden hatten, schon immer interessiert hat, und mit der Zeit entstand eine wunder-schöne Beziehung zu ihnen. Leopoldo stand ja schon für die erste CD von El Arranque Pate und mit Balcarce traf ich mich, um über den Tango und seine Geschichten zu plaudern. So-bald ich ihnen das fertige Projekt vorlegte, boten sie mir ihre uneingeschränkte Mitarbeit an.

FRAGE 3: Kannst Du einige Beispiele nennen, wie Ihr von den erfahrenen Musikern lernen könnt?
I.V.: Man lernt die ganze Zeit, es geht nicht nur um die Musik. Diese Männer vermitteln uns die Essenz des Tangos, seine Geschichten, seine Anekdoten ... seinen Geist. Man braucht nur einmal daran zu denken, dass sie berühmte Arrangements für Troilo, Di Sarli, Maderna, Caló, Fresedo... einfach alle - schrieben! Sie sind wie ein offenes Buch. Normalerweise lädt man einen Maestro ein, damit er bestimmte Richtlinien für einen Stil vor-gibt, mit dem er sich besonders gut identifiziert oder den er einige Jahre gespielt hat. Dann kommt der Kontrabassist Alcides Rossi, der mit Gobbi, Troilo und Pulgiese gespielt hat und zeigt, wie man den Bogen benutzt, um "La Yumba" zu spielen oder es kommt Franco, der bei D´Arienzo 23 Jahre lang das erste Bandoneon gespielt hat und das Stakkato zeigt, das für die Bandoneons bei diesem Stil eingesetzt wird, oder Federico selbst dirigiert seine Tangos ... oder Balcarce, der 20 Jahre lang der Violinist von Pugliese war, zeigt die Rythmuseffekte für jedes Instrument auf ... also, Lernen in Reinform.

FRAGE 4 :Wie sieht der Ablauf eines Orchesterschuljahres aus?
I.V.: Das Vorspielen findet im März statt, das Orchester wird jedes Jahr neu zusammengestellt mit Ausnahme des Bandoneonsolisten (Horacio Romo) und des Geigensolisten (Ramiro Gallo), die als Assistenten des Leiters Balcarce tätig sind und anführen, indem sie alles vermitteln, was sie über Stil wissen. Die Proben finden zweimal pro Woche statt und es werden verschie-dene Stile studiert. Für jeden Stil wird Lese- und Hörmaterial vorbereitet, wodurch wir errei-chen, dass jeder Musiker sich in die Geschichte und die Spielart der Orchester einfühlen kann. Ungefähr Mitte des Jahres beginnt das Orchester, Auftritte durchzuführen. Dieses Jahr wurde eine CD aufgenommen, die die bearbeiteten Stilrichtungen wiedergibt, und für Mai 2001 sind bereits 3 Wochen Auftritte im Theater Chailliot in Paris mit verschiedenen Gastdirigenten vorgesehen. Darüber hinaus werden alle Proben mit Digitalkamera aufgezeichnet, um ein Ar-chiv der Arbeiten mit den Maestros zu erstellen.

FRAGE 5 : Wie groß ist die Resonanz bei den jungen Musikern in Buenos Aires oder gibt es vielleicht sogar schon Bewerbungen aus Nordamerika und Europa?
I.V.: Die Sache ist noch nicht sehr verbreitet, da wir uns sehr darauf konzentriert haben, ein erfolg-reiches Pilotprojekt durchzuführen. Auf jeden Fall haben besonders in Europa viele Leute davon erfahren und es gibt Pläne, in Buenos Aires kleine Kurse von einem Monat für auslän-dische Musiker und einen Austausch mit am Projekt interessierten Konservatorien durchzu-führen.

FRAGE 6 : Wie seid Ihr auf den Namen "Arranque" gekommen?
I.V.: Ich erinnere mich daran, wie wir alle zuhause versammelt waren, es fehlten nur noch wenige Tage bis zum Debüt (20. Januar 1996) und wir saßen da und dachten nach. Nach langem Grü-beln fiel uns 'El Arranque' ein.... ein wunderbarer Tango von J. De Caro, von dem es wunder-schöne Versionen gibt, wie zum Beispiel die vom Quinteto Real, die von Pugliese, die vom Sexteto de Francini und die von Piazzola mit seinem Quintett. Der Name beinhaltet viel Kraft, er bedeutet Anfang, Ausgangspunkt .... er beschriebt den Moment, in dem man am meisten Kraft einsetzt, um loszulegen.

FRAGE 7 : Wo liegen die Wurzel Eurer Musik?
I.V.: Die Wurzel unserer Musik ist der Tango selbst, wenn sich auch der Stil an die Orchester der vierziger und fünfziger Jahre anlehnt, in unserem Fall sind es Gardel und Corsini, Piazzolla und Grela, Manzi und Cadícamo.....Buenos Aires und die Geschichte unserer Einwandererfa-milien.

FRAGE 8: Worin siehst Du die Stärken von Arranque?
I.V.: Die Kraft und die Authentizität, die Kraft beim Spielen und beim Kampf für ein neues Pro-jekt, die Wahrhaftigkeit des ernsthaften Schaffens aus Überzeugung, aus Leidenschaft .... wir haben uns dafür entschieden, unsere Musik - den Tango - zu spielen, und jedes Mal, wenn wir es tun, geben wir alles, weil wir unsere eigene Kultur vertreten und uns durch sie ausdrücken. Zudem haben sich der Anteil an eigenen Arrangements sowie das musikalische Niveau in den letzten 2 Jahren erheblich gesteigert, und eben das ist für jeden Künstler sehr wichtig - hart zu arbeiten, um zu wachsen und die eigene Persönlichkeit zu finden.

FRAGE 9 : Kannst Du die musikalische Entwicklung von Arranque beschreiben und was sind die weiteren Ziele, die Ihr noch erreichen wollt?
I.V.: Die Gruppe begann als Quintett, Arrangements berühmter Orchester wie Troilo, Gobbi und Salgán zu interpretieren, aber nach einem Jahr beschlossen wir, die Formation zu vergrößern und selbst die Arrangements zu schreiben. Von da an bis jetzt haben wir uns stückweise von anderen Stilrichtungen wie dem von Pugliese oder Troilo entfernt und zunehmend Dinge ent-deckt, die uns mehr Persönlichkeit verleihen .... selbstverständlich unterliegen wir Einflüssen von allen Orchestern, man kann Teile heraushören, die stark nach Gobbi, Francini-Pontier oder Leopoldo Federico klingen, aber wir versuchen auf jeden Fall nicht, jemanden nachzu-ahmen und nehmen dafür eher Elemente auf, die uns gefallen und definieren so unseren eige-nen Stil. In allen neuen Stücken stehen die Solisten und die weiter entwickelte harmonische Arbeit im Vordergrund. Das Interessante daran ist, dass wir trotzdem niemals den rhythmi-schen Aspekt aus den Augen verlieren, was bedeutet, dass das Ergebnis, auch wenn wir uns das nicht ausdrücklich vorgenommen haben, immer sehr gut tanzbar ist.

FRAGE 10 : Wie könnt Ihr bei all den verschiedenen Tangostilen, die es schon gegeben hat, Eueren eigenen Stil finden?
I.V.: Je mehr wir neue stilistische Elemente einarbeiten, die sich während der Proben, beim Hören von Platten oder im Zusammensein mit den Maestros ergeben, legen wir eine Richtung fest. Es ist unmöglich, einen vollkommen neuen Stil zu kreieren, und ich fände ein solches Vorha-ben sogar dumm, aber es ist dennoch wichtig, nicht im Nachahmen anderer zu verharren ... das ist überflüssig und führt auf die Dauer in die Mittelmäßigkeit.

FRAGE 11: Wie ist zur Zeit die Situation für ein Orchester wie El Arranque in Buenos Aires?
I.V.: Die derzeitige Lage ist zwiespältig, einerseits (und parallel zur Situation Argentiniens) gibt es wenig Arbeit aber andererseits geschehen Dinge. Langsam aber sicher erscheinen neue Gruppen und viele neue Musiker, was man feiern und unterstützen muss. In einer einzigen Woche kann man in Buenos Aires das Quinteto Real mit Salgán an der Spitze, Juanjo Domínguez und sein Gitarrentrio, das Trio von Julio Pane und das von Marconi hören, zu Color Tango und Gente de Tango (im Stil von Di Sarli) tanzen, El Arranque und Lidia Borda hören und zu ihnen tanzen und mit ein bisschen Glück Nelly Omar und das Orchester von Leopoldo Federico sehen. Das heißt, es gibt hier viel Tango, und zwar vom besten.... und das ist das Wichtigste. Wir selbst haben glücklicherweise jede Woche Ar-beit, wir haben soeben die neue CD aufgenommen und die Tourneen stimulieren uns zusätz-lich, aber vielen Kollegen geht es schlecht.

FRAGE 12: Gibt genügend Auftrittsmöglichkeiten, damit Ihr Euch auch finanziell über Wasser halten könnt?
I.V.: Wir verdienen unseren Lebensunterhalt mit dem Tango, aber nicht allein mit El Arranque, viele von uns arbeiten in anderen Gruppen in Häusern für Touristen, in anderen Orchestern und als Begleitmusiker für verschiedene Sänger. Manche schreiben Arrangements im Auftrag usw. .... ich glaube, dass das sowohl gut als auch schlecht ist. Es ist gut, weil so jeder Musiker verschiedene Erfahrungen machen kann, die ihn weiterbilden und die er dann in sein eigenes Projekt einbringen kann - wie in diesem Fall in El Arranque, und manchmal ist es schlecht, weil man viel herumrennen muss und manchmal sogar Dinge absagen muss, um diese Arbeit beizubehalten.

FRAGE 13 : Ihr habt eine neue CD produziert. Was ist an dieser CD besonders zu erwähnen?
I.V.: Wir sind wirklich sehr zufrieden mit der neuen CD, da wir ja seit der ersten mehr als zwei Jahre gewartet haben und ich glaube, dass wir ein hervorragendes Ergebnis erzielt haben. Sie gibt die Arbeit und die Weiterentwicklung der Gruppe während dieser Zeit wieder und außer-dem hatten wir die Ehre, mit einem Luxusgast rechnen zu dürfen: mit der legendären Nelly Omar, die zwei Stücke mit dem Orchester aufnahm ... das war sehr aufregend ... allein die Vorstellung, dass sie mit Canaro jene be
rühmte Version von "Desde el Alma" und so viele andere Stücke aufgenommen hat.

FRAGE 14 : Wie kam es zu der Zusammenarbeit mit Nelly Omar?
I.V.: Wir bewundern sie schon seit langem und haben seit den Anfängen von El Arranque eine wunderbare Beziehung zu ihr aufgebaut, sie stand für die erste CD Pate und als wir mit der Produktion der zweiten begannen, hatten wir den Einfall, sie einzuladen ... was soll ich dir sagen? Es ist unglaublich, aber sie sagte sofort zu und wir wählten gemeinsam die Themen aus, sie kam zu uns nach Hause, um die Musik einzuspielen, wir machten die Arrangements, eine Probe und dann die Aufnahme ...., das wird in die Geschichte eingehen.

FRAGE 15. Ab wann wird die CD auf dem Markt sein?
I.V.: Sie wird im Dezember fertig sein und wir werden sie auf unserer Tour im Januar und Februar mit nach Europa bringen, die offizielle Vorstellung in Buenos Aires wird nach unserer Rückkehr im März stattfinden.